Arbeiten mit und gegen die Depression

In den letzten Beiträgen habe ich bereits Andeutungen über die aktuellen Veränderungen in meinem Alltag gemacht. Da ich inzwischen auch einiges positives Feedback in meinen Gesprächen über meinen Umgang mit meiner Depression bekommen habe, möchte ich heute einmal näher auf die Ereignisse, Veränderungen und meine Erfahrungen eingehen. Ich lade schon jetzt jedeN mit ähnlichen Erfahrungen, Fragen oder Problemen zu einem ehrlichen, intensiven und emphatischen Austausch ein. Meine Mission ist noch immer: Ich bringe Lebensfreude, indem ich mutig, voller Vertrauen und Leichtigkeit voran schreite.

Besonders ersteres, mein Mut war in der letzten Zeit häufig gefragt. Denn ich muss hier am Anfang gleich mal mit einer Wunschvorstellung oder gar weit verbreiteten Illusion aufräumen: Tabletten (Medikamente) heilen keine Depression! Sie sind im besten Fall in der Lage, den Einnehmenden, von den negativen Auswirkungen der Depression (Lethargie, Verzweiflung, Mutlosigkeit, Erschöpfung etc) zeitweilig zu befreien, damit er/sie dann die Ressourcen hat, die Ursachen der Depression zu erkennen, zu bearbeiten und im Besten Falle zu ändern. Mein Medikament, venlafixin in einer Dosierung von 112,5 mg/Tag, half mir, meine Lethargie zu überwinden und den Mut und die Kraft zu finden, mir meine Probleme genauer anzusehen. Hier mal ein ganz praktisches Beispiel, wie das bei mir ablief.

Ich hatte Ende Februar eine folgenreiche Begegnung. In einer Dienstbesprechung wurden meine Wünsche nach einer positiven Veränderung für unser Team kleingeredet und abgeschmettert. Ich hatte den Reflex zu sagen, „Ok, das ist anscheinend NUR für mich wichtig, dann hat es ja keinen Sinn, das zur allgemeinen Regel zu machen„. Dieses NUR ist der Dreh- und Angelpunkt. Rational betrachtet, habe ich mich vernünftig verhalten und das Thema abgehakt. Emotionales Verhalten habe ich mir in dem Moment nicht erlaubt, weil ich Angst vor einem Konflikt mit und gar dem Ausschluss aus der Gemeinschaft hatte. Aber mein Körper war nicht bereit, den rationalen „Argumenten“ zu folgen und die aufkommenden negativen Emotionen zu verdrängen: ich habe meine negativen Emotionen verdrängt und sie haben sich als Schmerz in meinen Kieferhöhlen wiedergefunden. Ich war wie vom Donner gerührt, als ich ca. 8 Stunden später aus heiterem Himmel Kopfschmerzen bekam, diese über Nacht immer stärker wurden und mich am nächsten Tag in Form von Migräne völlig außer Gefecht setzten. Ich war völlig überrascht, auch wenn dieser Vorgang mir nicht unbekannt war. Nur habe ich dieses Mal keine Ursache dafür sehen können.

Mit Hilfe meiner Frau und meiner Therapeutin gelang es mir am Folgetag die Geschehnisse aufzudröseln und die Ursache für meinen Schmerz zu sehen: Ich habe mich nicht gesehen und respektiert gefühlt! Und ich war nicht bereit und in der Lage, für mich einzustehen! Das ist die typische Arbeit mit dem inneren Kind, das um Anerkennung oder zumindest Aufmerksamkeit seiner Eltern kämpft. Ich konnte eben dieses innere Kind nicht in den Arm nehmen und ihm sagen: Ich bin jetzt groß und erwachsen (=stark), um Dich zu halten und Dir die Bestätigung und Anerkennung zu geben, die dir gebührt und die Du von den anderen gerade nicht bekommst!

Dies zu erkennen und zu akzeptieren, war der erste Schritt zur positiven Veränderung. Denn es mag für den einen oder die andere merkwürdig anmuten, aber ich habe ein Problem mit meinem Selbstwertgefühl: ich habe zu wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung von meinen Eltern bekommen, stattdessen immer wieder die Botschaft, ich sei nicht schlau, geschickt, interessant, freundlich – kurz: gut – genug, um ihrer Anerkennung oder nur Aufmerksamkeit würdig zu sein. Und eine solche Haltung führt bei Kindern zu einer massive Störung des Selbstwertgefühls! Das bringt (Selbst-)Zweifel in unsere kleine Welt. Und Selbstzweifel führt im schlechtesten Fall dazu, dass wir uns nicht mehr ernst nehmen nach dem Motto (was meine Eltern auch oft vermittelt haben): Du bist (uns) nicht wichtig!

Diesen Mangel in der Kindheit darf (und muss) der Erwachsene dadurch kompensieren, dass er/sie sich selber lieben und in den Arm nehmen lernt. Das ist die Arbeit mit dem inneren Kind. Ich habe das nach dieser Erkenntnis ohne große Probleme machen können und es ging mir umgehend besser. Das Verrückte daran ist: wenn ich nicht stark genug bin, den Schmerz der Erkenntnis, dass ich mich von meinen Kollegen nicht respektiert fühle und mich selber halten muss, auszuhalten, dann verstärkt sich dieser Schmerz erneut durch seine Verleugnung, die Abwertung meiner Gefühle bis hin zur Abwertung meiner gesamten Person! Eine sich selbst verstärkende negative Abwärtsspirale! Da irgendwann ohne Blessuren oder nur halbwegs gesund wieder herauszukommen, ist verdammt schwer. Und wenn mir das nicht gelingt, füttert das meinen Dämon Depression.

Fazit: Meine Tabletten (Medikament) haben mir geholfen, die Kraft und die Klarheit zu finden, die Dinge für mich zu regeln und das sehr einfach klingende Vorhaben, mein inneres Kind zu lieben, umzusetzen. Das ist, was sie für mich sind: Helfer, meine Dinge zu regeln, in die Hand zu nehmen, Verantwortung für mich zu übernehmen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wer depressive Zustände kennt, wird mir zustimmen können: das ist schon mal verdammt viel, aber die eigentliche Arbeit ist damit noch nicht getan! Aber ohne sie hätte ich es auch nicht geschafft. Daher bin ich auch sehr dankbar, dass es sie gibt und ich gute Ärzte habe, die sie mir zugänglich gemacht haben.

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